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In Bambergs Bussen werden die Haltestellen-Ansagen erwachsen

Über 15 Jahre lang hatten in den Bussen der Stadtwerke Bamberg die Kinder das Sagen: So lange haben Amelie, Eva, Valentin und viele weitere Mädchen und Jungen in Bambergs Bussen Haltestellen und Umsteigeverbindungen angesagt. Im Herbst 2025 wurden die sympathischen Kinderstimmen gegen eine erwachsene Frauenstimme ausgetauscht. Was manche Fahrgäste bedauern, ist für viele andere ein Segen – vor allem für ältere und hörbehinderte Menschen: Weil die neue, erwachsene Stimme für sie wesentlich besser verständlich ist. 

Der große Auftritt: Wie die Kinderstimmen ausgewählt wurden

Mehr als 60 Kinder hatten sich beworben, als die Stadtwerke im Jahr 2010 die besten Stimmen für die künftigen Haltestellenansagen in den Bussen suchten. Die Aufregung war groß, als die Kinder vor einer Jury von Radio-Profis, Fahrgästen und Promis wie Basketballstar Tibor Pleiß vorsprechen sollten. Am Ende war es ein knappes Dutzend Kinder, das die über 300 verschiedene Ansagen aus Stadt und Land eingesprochen hat. Die Kinderstars von damals sind längst erwachsen – ihre sympathischen Stimmen in den Bussen sind hingegen nicht gealtert. 

Grenzen der Kinderstimmen: Wenn Verständlichkeit zur Barriere wird

So viel Lob die Stadtwerke Bamberg damals für die ungewöhnlichen Ansagen erhalten haben, so schwer haben sich im Laufe der Zeit einige Fahrgäste damit getan: Ausgerechnet für Menschen mit Seh- oder Hörschwäche, die auf den Bus als Verkehrsmittel angewiesen sind, ist die tendenziell hohe Frequenz der Kinderstimmen schwer zu verstehen – gerade, wenn viele Menschen im Bus sind oder das Fahrzeug über das Bamberger Kopfsteinpflaster fährt.

“Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen haben mir ihr Leid mit den Kinderstimmen geklagt.”

Fahrgäste mit Behinderung fordern verständlichere Ansagen

Einer, der sich immer wieder die Klagen von Fahrgästen anhören musste, ist Volker Hoffmann, der Vorsitzende des Bamberger Beirats für Menschen mit Behinderung. Hoffmann engagiert sich bereits seit den 70er Jahre für Inklusion und ist mit vielen Fahrgästen im Gespräch, für die gute Ansagen wichtig sind: „Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen haben mir ihr Leid mit den Kinderstimmen geklagt – blinde und sehbehinderte Menschen sowie Personen mit Hörschädigung oder im Rollstuhl, die mit dem Rücken zum Bildschirm sitzen, haben mir die Rückmeldung gegeben, dass für sie die Orientierung beim Busfahren schwer ist.“

1,2 Mio.

Menschen in Deutschland sind blind und sehbehindert.

21 %

der bundesdeutschen Bevölkerung über 14 Jahren als schwerhörig – fast jeder zweite davon ist mittelgradig und stärker schwerhörig. 

Warum die Stadtwerke auf eine erwachsene Frauenstimme setzen

Die Stadtwerke haben die Haltestellenansagen auf den Prüfstand gestellt, immer wieder optimiert – doch richtig glücklich waren Hoffmann und seine Mitstreiter damit nicht. Bei den neuen Ansagen, die seit Herbst 2025 von einer Frauenstimme gesprochen werden, ist das nun anders: „Für uns ist es nur konsequent, auch den Wünschen der Menschen mit Behinderung nachzukommen und die Ansagen hörfreundlicher zu machen. Die Möglichkeit hierfür hatten wir, als wir sowieso in allem unseren Bussen die Boardcomputer ausgetauscht haben, über die auch die Ansagen ausgespielt werden“, sagt Sebastian Sonnauer, Leiter des Verkehrsbetriebs der Stadtwerke Bamberg. 

Verkehrsbetriebsleiter Sebastian Sonnauer
Verkehrsbetriebsleiter Sebastian Sonnauer

Mit Wehmut verabschieden wir uns von den Kinderstimmen in unseren Bussen. Aber die Grundbedürfnisse der Menschen, vor allem der Älteren und Menschen mit Behinderung, stehen eindeutig über der Frage „sympathisch oder nicht?

Behindertenbeauftragte Nicole Orf: „Barrierefreiheit heißt auch verstehen“

Ein Segen ist das auch für die städtische Behindertenbeauftragte, Nicole Orf. Und die Statistik gibt ihr Recht: Rund jeder sechste Bamberger lebt mit einer Behinderung. „Dass auch diese Menschen den Bus barrierefrei nutzen können, ist mir ein besonderes Anliegen. Für sie ist der Bus oft das wichtigste Verkehrsmittel. Barrierefreiheit bedeutet aber nicht nur, mit dem Rollstuhl selbstständig ein- und aussteigen zu können, sondern eben auch die Haltestellenansagen in jeder Situation verstehen zu können. Das war bei den Kinderstimmen, so sympathisch und originell ich sie finde, leider nicht immer der Fall“, sagt Nicole Orf.

Seniorenbeauftragte Stefanie Hahn: Deutliche Signale für ältere Fahrgäste

Und die zentrale Ansprechpartnerin für ältere Menschen in der Stadt, Stefanie Hahn, pflichtet ihr bei: „Den Bus barrierefrei nutzen zu können, ist für die Teilhabe am sozialen Leben und einen selbstbestimmten Alltag vieler Menschen essenziell. Gerade ältere Menschen, bei denen die Hör- und Sehkraft abnimmt, brauchen deutliche akustische Signale, um ohne Hilfe unterwegs zu sein“, erklärt die Seniorenbeauftragte. „Kinderstimmen haben eine höhere Tonlage und gehen in einer lauten Umgebung, wie der eines Busses mit Motorgeräuschen, Straßenlärm und den Gesprächen der anderen Fahrgäste leicht unter. Stimmen mit einer Alt-Tonlage haben hingegen eine klarere Verständlichkeit: Sie liegen in einem Frequenzbereich, der vom Ohr auch bei Störgeräuschen noch gut wahrgenommen wird. Deshalb freue ich mich sehr über die Anpassung.“

Von wem kommt denn nun die neue Stimme?

Bei der Auswahl der Stimme arbeiten die Stadtwerke Bamberg mit einem Anbieter zusammen, der sich bereits bei vielen großen Verkehrsunternehmen wie etwa der Deutschen Bahn oder den Berliner Verkehrsbetrieben etabliert hat. Die Stimme gehört zu einem echten Menschen. Auf Basis von Stimmproben werden dann mithilfe der „Text-To-Speech“- Technologie (TTS) individuelle Ansagen generiert, wie man sie auch aus dem Navigationssystem im Auto kennt. Das heißt auch, dass nicht je Haltestelle persönlich in einem Tonstudio eingesprochen werden muss, sondern auf Basis der vorliegenden Stimmprobe vom Computer generiert wird.  Das ist für alle Fahrgäste von Vorteil, denn ab sofort können auch sehr kurzfristig aktuelle Fahrplan-Änderungen und Hinweise für die Fahrgäste angesagt werden, ohne dass sie aufwändig im Tonstudio eingesprochen werden müssen.

Info

TTS: Der Vorleseroboter

„Text to Speech“: Mit der Text-to-Speech- Technologie wird geschriebener Text automatisch in gesprochene Sprache umgewandelt. Das System liest den Text, erkennt Satzzeichen, Abkürzungen und sogar die Betonung, die im Satz steckt. In einem zweiten Schritt werden aus den Buchstaben und Wörtern Lautfolgen erstellt, also sozusagen eine „Aussprache-Anleitung“. Diese Lautfolgen werden dann von der künstlichen Stimme vorgelesen. 

Auswahlprozess: Wer bei der Entscheidung mitbestimmen durfte

Bei den Stadtwerken Bamberg sind drei Stimmen in die engere Auswahl gekommen: „Die Vorauswahl unserer Mitarbeitenden bestand aus zwei Damen- und einer Herrenstimme“, berichtet Bus-Chef Sonnauer. Die Stimmen wurden dann den Vertretungen der Seniorinnen und Senioren und der Menschen mit Behinderung zur Verfügung gestellt, um sie sich am Computer anzuhören. Auch die Busfahrerinnen und Busfahrer durften mitreden. 

Test im realen Busbetrieb: Welche Stimme überzeugt hat

Die letzte Entscheidung darüber, welche der drei Stimmen das Rennen macht, haben die Stadtwerke nach einer Testhör-Rundfahrt mit Vertreterinnen und Vertretern vom Bayerischen Blindenbund (BBSB), der Selbsthilfegruppe „OhrRing“, sowie Mitgliedern der Bamberger Arbeitsgemeinschaft chronisch kranker und behinderter Menschen getroffen. „Dieses realistische Umfeld war für uns essenziell, hier haben wir die Stimmen nochmals ganz anders wahrgenommen“, sagt Volker Hoffmann: „Im fahrenden Bus ist die Verständlichkeit der Stimmen anders als über den Lautsprecher am Computer.“ Die männliche Stimme drang nicht mehr so gut durch. Und auch wenn das Hörempfinden der Fahrgäste unterschiedlich war, am Ende der Fahrt hatte eine Damenstimme die Nase vorn. Einig waren sich die Fahrgäste auch, dass der neue Gong, der vor der Ansage kommt, sehr gut geeignet ist, um die Aufmerksamkeit für die folgende Ansage zu erhöhen.

Technische Umsetzung: 450 Ansagen für Bambergs Busnetz

Nach der Fahrt hat es noch einige Wochen gedauert, bis alle rund 450 Haltestellen, Bedarfshaltestellen und Baustein-Texte fertig und in die Computersysteme der verschiedenen Busse integriert waren. Besonderheit: Seit Herbst 2025 sind auch die ersten Busse unterwegs, die für die Wartenden an der Bushaltestelle mit Außenlautsprechern die Buslinie und die Fahrtrichtung ansagen. 

Info

Weitere Assistenzsysteme für Menschen mit Einschränkungen in unseren modernen Bussen

  • Fußgängerwarnglocke
  • Außenlautsprecher
  • Brailleschrift an Halt-Knöpfen in bestimmten Bereichen
  • Taktile Handstangen an Ein- und Ausgängen
  • Markierte Bereiche für Menschen mit Einschränkung
  • Absenkbarer Ein- und Ausstieg
  • Sensoren und akustisch-optische Signale beim Türenschließen
  • Türen, die nach außen öffnen für mehr Raum
Bus fährt über Markusbrücke